Hintergrundrauschen
Rassistische Wissensbestände
und Diskriminierung
Hintergrundrauschen
Rassistische Wissensbestände
und Diskriminierung
Rassistische Diskriminierungen zu erkennen und als solche klar zu benennen, fällt nicht jeder*m in jedem Moment gleichermaßen leicht. Noch herausfordernder und nicht weniger wichtig ist es, die hinter einzelnen Diskriminierungsfällen stehenden gesellschaftlichen (hier: rassistischen) Wissensbestände wahrzunehmen. Die wechselnden gesellschaftlichen Debatten zu antimuslimischem Rassismus (AmR) ebenso wie konkrete Diskriminierungen greifen auf dieses Wissen zurück, das als gesellschaftliches Hintergrundrauschen allen zugänglich ist und sich für viele deutlich in den Vordergrund drängt. Der folgende Debatten-Zeitstrahl gibt einen Überblick über diese Wissensbestände.
Übung
Die vorliegende Übung soll zu einer Auseinandersetzung mit antimuslimischen Wissensbeständen einladen. Ausgehend von Fallbeispielen setzen sich die Teilnehmenden (TN) mit Zusammenhängen zwischen diesen und gesellschaftlichen Diskursen und Praktiken auseinander und tauschen sich über Vorbilder und Umgangsstrategien aus.
Ziel(e) der Übung
● Die TN bekommen einen Überblick über die Wirkmacht
und Funktionsweisen von verschiedenen (AmR-) Diskursmomenten und gesellschaftlichen Praktiken.
● Die TN erkennen Zusammenhänge zwischen Diskriminierungserfahrungen Einzelner und gesamtgesellschaftlich wirkendenden Wissensbeständen.
● Die TN (er-)kennen stärkende Elemente, die sich etwa in Widerstandsmomenten aufzeigen.
Ablauf der Übung
Die vorliegende Übung ist ursprünglich für die Arbeit im Raum entwickelt worden. Hier ist sie als Online-Version adaptiert.
Vorbereitung (5min)
Teilt die Gesamtgruppe in drei Kleingruppen auf. Jede Gruppe erhält eine Fallbeschreibung zu einem Diskriminierungsfall, inkl. Aufgabe und ein Online-Padlet und kann die Aufgabenstellung in separaten Online-(Breakout)-Räumen bearbeiten.
Fallbeispiele
⟶ „Khalil“: Sexualitätsdispositiv PDF Herunterladen
⟶ „Fatma“: Sicherheitsdispositiv PDF Herunterladen
⟶ „Seynab“: Religionsdispositiv PDF Herunterladen
Durchführung (85min)
Phase eins Kleingruppe (in den Online-(Breakout)-Räumen):
Fallbeispiel (15min)
● Lest euch die Fallbeispiele durch und tauscht euch dazu aus.
● Sind euch ähnliche Fälle in eurer (Beratungs-)Praxis
begegnet?
● Haltet eure Ergebnisse in eurem jeweiligen Online-Padlet fest.
Phase zwei in Einzelarbeit:
Zeitstrahl / Debatten (15min)
Zeitstrahl (ZS) zu AmR: Dieser besteht aus 20 Überschriftenkarten und 60 Inhaltskarten. Die Überschriftenkarten geben einen Überblick über die im AmR wichtigen Diskursmomente aus den Jahren 2000 bis 2021. Beispiele: „Leitkulturdebatte(n)“, „Kopftuchdebatte(n)“, „Beschneidungsdebatte(n)“ etc.
● Verschafft euch einen Überblick über den Zeitstrahl.
● Legt dabei einen Schwerpunkt auf Informationen, die euch für das bearbeitete Fallbeispiel relevant erscheinen.
● Bearbeitet folgende Fragen und teilt eure Ergebnisse im Online-Padlet eurer Gruppe.
Phase drei Kleingruppe (in den Online-(Breakout)-Räumen):
Zusammenführung (30min)
Bearbeitet folgende Fragen (nicht nur, aber auch mithilfe eurer Zeitstrahl-Recherche) und teilt eure Ergebnisse im Online-Padlet eurer Gruppe:
1. Welche gesellschaftlichen Erzählungen und Bilder liegen dem Fall zugrunde?
2. Welche wirkmächtigen Praktiken verfestigen diese Erzählungen und Bilder?
3. Was nehmt ihr in solchen Fällen und im Hinblick auf die entsprechenden Diskurse und Praktiken als stärkend wahr?
Phase vier Gesamtgruppe:
Abschluss / Auswertung (25min)
Austausch in Gesamtgruppe.
● Stellt euren Fall und die Ergebnisse eurer Gruppe in der Gesamtgruppe vor.
● Was nehmt ihr aus eurer Auseinandersetzung mit den Fällen und dem Material mit?
● Was sind wesentliche Erkenntnisse?
Fallbeispiel „Sicherheitsdispositiv“
Fatma
Ich bin Fatma, 25 Jahre alt. Für meine interkulturelle Hochschulgruppe für Frauen stellte ich einen Antrag auf Raummiete beim Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA). Im Vorfeld ließ ich dem AStA eine Beschreibung der Hochschulgruppe und die Namen der Mitglieder zukommen. Der AStA informierte mich, dass die Polizei mit mir sprechen wolle. Der Grund sei „meine muslimische Hochschulgruppe“.
Auf der Wache:
Der Polizist sprach etwa eine Stunde über Salafismus. Erst dann fragte er: „Was seid ihr eigentlich für eine Gruppe?“.
„Eine Hochschulgruppe für Frauen – egal welcher Religion“ antwortete ich. Er verabschiedete sich mit den Worten: „Dann bin ich wohl falsch informiert worden.“
Fallbeispiel „Religionsdispositiv“
Seynab
Ich heiße Seynab und bin 32 Jahre alt. Anfang 2015 hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass ein pauschales Kopftuchverbot nicht gerechtfertigt sei.
Ich bewarb mich als Grundschullehrerin in Berlin. Mit der Zusage wurde ich zum Schulleiterinnen-Casting eingeladen. Dort sind Schulleiterinnen, Vertreterinnen vom Senat und Lehramtsanwärterinnen zugegen.
Vor Ort wurde ich von einer Schulleiterin gefragt, ob ich vorhabe, mit dem Kopftuch zu unterrichten. Ich wollte antworten. Eine Vertreterin vom Senat unterbrach mich mit den Worten: „Das würde mich allerdings auch interessieren“.
Fallbeispiel „Sexualitätsdispositiv“
Khalil
Ich heiße KhaliI und bin 23 Jahre alt. Ich war diesen Sommer auf einem Festival.
Es war ein Samstag und ein sonniger Tag.
Ich saß mit (m)einer Freundin Kristin auf der Wiese. Langsam wurde es dunkel. Etwa im 5-Minuten-Takt passierte Folgendes: Menschen, vor allem Frauen, schauten uns an. Hielten an. Kamen auf uns zu.
Sie sprachen meine Freundin an und erkundigten sich bei ihr, ob alles in Ordnung sei. Ob es ihr gut gehe. Ob sie Hilfe brauche.
Impressum
Das Material hat der Verband binationaler Familien und Partnerschaften Leipzig im Rahmen seiner Arbeit im „Kompetenznetzwerk Islam- und Muslimfeindlichkeit“ (KNW) entwickelt.
Das Kompetenznetzwerk wird im Rahmen des Bundesprogramms
„Demokratie leben!“ durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und im Rahmen des Landesprogramms „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“ durch das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert.
Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ oder des BAFzA dar. Für inhaltliche Aussagen tragen die Autorinnen und Autoren die Verantwortung.
Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V.
Geschäfts- und Beratungsstelle Leipzig
Arndtstr. 63, 04275 Leipzig
https://binational-leipzig.de
Redaktion: Anna Sabel, Mehmet Arbag, Nino I. Bautz
Bebilderung: Mehmet Arbag, Ahmet Erdem Şentürk
Satz/Layout: Ahmet Erdem Şentürk